Na bumm. Da gewinnt man mit einem grünen Kandidaten die Bundespräsidentenwahl und fliegt aus dem Parlament. Man sitzt in vielen Landesregierungen und ist bundespolitisch marginalisiert. Damit hat wohl niemand gerechnet. Auch die vielen ehemaligen Grün-WählerInnen nicht, die dieses Mal Christian Kern gewählt haben, um Schwarz-Blau zu verhindern. „Die sind eh drinnen, wichtig ist, dass wir vorne schauen, dass Kern gut abschneidet.“ Diese Gedanken waren wohl der endgültige Genickbruch für die Grünen. Würde man die Wahl wiederholen, sie wären natürlich drinnen, weil sich viele der ehemaligen Grün-WählerInnen natürlich alles andere wünschen als ein Parlament ohne Grüne. Ohne einen Werner Kogler zum Beispiel. Das tut weh und ist letztlich wirklich schade für das Hohe Haus.

Aber wars nur der Kern-Effekt? Nein, natürlich nicht. Es war eine Pannenserie, die man als gesamtes sehen muss, um das Geschehene richtig einordnen zu können. Die Grünen waren immer ein Haufen von kaum zu steuernden Menschen. Einzelkämpfer wie Pilz gab es immer. In der Vergangenheit fiel das nicht so auf, weil Stefan Wallner als Bundesgeschäftsführer ein strenges Regiment führte. Ein kritischer Tweet, Anruf. Eine Presseaussendung, die Probleme bringt. Ein Anruf samt Rütteln am bio-veganen Watschenbaum. Wallner hatte den Laden im Griff. Er ging und hinterließ eine Lücke, die erst offenbarte, welch großartigen Job er gemacht hat. Beliebt war er nicht bei allen. Klar, wer macht sich schon beliebt, wenn er PolitikerInnen, die sich selbst in der Bedeutung ihrer selbst unmittelbar nach dem Papst sehen, eindringlich vor Augen führt, dass sie in Wahrheit ziemliche Würstln sind und lieber das tun sollten, was in so etwas passt, das man Gesamtstrategie nennt.

Es war nicht Eva Glawischnig, die die allein Partei geführt hat, in weiten Teilen hat das Stefan Wallner mit ihr gemeinsam gemacht. Er war der Kanalarbeiter.

Dann kam der Zwist um die Jungen Grünen. Die Partei hat die Situation falsch eingeschätzt. Ja, das waren nur ein paar Hansln und Gretln, aber in der Öffentlichkeit blieb stehen: „Die hauen ihre Jungen raus.“

Dann ging Glawischnig. Weil sie nicht mehr konnte und wollte. Jahre intensiver Spitzenpolitik zehren. An der Gesundheit, an den Nerven und irgendwann muss man zum Selbstschutz die Reissleine ziehen.

Der Rücktritt kam überraschend. Dann passierte der nächste Fehler: Man hat sich für eine Mitte-Kandidatin als Spitzenkandidatin entschieden. Ulrike Lunacek ist untadelig, erfahren, eine Spitzenpolitikern europäischen Formats, kompetent, lösungs- und sachorientiert. Wenn aber das ganze Land nach rechts geht, wenn also ÖVP und FPÖ sich im Match „Wer ist näher an Orban und weiter weg von den Flüchtlingen?“ täglich überbieten und die SPÖ mit Niessl und Doskozil, aber auch mit unsäglichen Stammtischvideos versucht, die Flanke bei dem Thema zu schließen, dann ist alles andere als ein klarer Linkskurs als Alternative von vornherein nicht die beste Option.

Die Spitze wurde also mit drei Menschen neu besetzt: Die Tiroler Parteichefin Felipe wurde Bundessprecherin, Lunacek Spitzenkandidatin und Albert Steinhauser Klubobmann. Felipe wurde gleich nach dem ersten großen bundesweiten Auftritt in den Sommergesprächen wieder aus der Öffentlichkeit abgezogen, man hat schnell gemerkt, dass das Parkett der Bundespolitik anderer Qualitäten bedarf als eine Landesregierungsfunktion in Tirol. Steinhauser gilt als kompetent, ideologisch sattelfest und strategisch klug. Aber ein Verkäufer ist er nicht. Und das sollte man wohl als Klubobmann schon sein.

Dann Pilz. „Der Peter hätte am Bundeskongress gegen einen Hydranten verloren, weil wir ihn nicht mehr wollten.“ Pilz hat es mit seiner Rede nach Meinung vieler ohnehin auf seinen eigenen Abschied angelegt. Wer die Rede gesehen hat, kann diese Gedanken relativ gut nachvollziehen. Pilz organisierte vom Grünen Parlamentsklub aus die Parteigründung. Die Parteispitze duldete es, man wolle ihn nicht zum Märtyrer machen. Wieder eine falsche Entscheidung.

Von Dingen wie Heumarkt reden wir gar nicht. Zuerst Basis einbinden und abstimmen lassen, und dann das Votum nicht zur Kenntnis nehmen und trotzdem drüberfahren. Das ist grün?

Der Wahlkampf an sich war schwach, die Plakate nichtssagend, die TV-Auftritte von Lunacek anfangs schwach, zwischendrin zwei starke Duelle gegen Hofer und Kurz, am Ende aber war das nix. Lunacek selbst kann man übrigens keinen Vorwurf machen. Man wusste, was sie gut kann und was sie weniger gut kann. Und sie hat grosso modo wohl den geringsten Anteil am Versagen der Grünen.

Marco Schreuder, ehemaliger Bundesrat der Grünen, hat in einem Facebook-Posting zurecht auf eine große Schwäche der Grünen verwiesen: Die Basisdemokratie. Die klingt am Papier super, führt aber realiter bei den Grünen dazu, dass gewisse Gruppen auf Landes- und Bundeskongressen ihre Kandidaten durchpeitschen können. Das führt dann dazu, dass an und für sich wirklich gute Kandidaten nicht zum  Zug kommen. Auch Van der Bellen hat sinngemäß gesagt, dass man sich das anschauen muss, weil das jetzige Procedere nicht tauglich sei.

D.h. es sind nicht nur die MandatarInnen verantwortlich zu machen, sondern all jene, die bei der Erstellung von Kandidatenlisten gewählt haben oder eben trotz Stimmrechts nicht mitgewählt haben. Das gilt für Pilz‘ Abschneiden beim Kampf um Platz 4 gegen Julian Schmid genauso, wie auch für sonstige Listenwahlen.

Die Grünen stehen aber vor einer viel größeren Herausforderung: Ähnlich wie die Sozialdemokratie fehlt den grünen Parteien in Europa längst eine Erzählung. Das Umweltthema allein ist zu wenig. In Süd- und Osteuropa existieren die Grünen nicht wirklich, sie sind nur noch u.a.  in Deutschland, Benelux, Skandinavien irgendwie relevant. Wahrscheinlich wäre eine mögliche Weiterentwicklung der eigenen Daseinsberechtigung durchaus in den Wurzeln zu finden. Das Umweltthema ist ja letzlich nichts anderes als die Frage „Wie gehen wir mit unseren Ressourcen um?“. Zwar begrenzt auf das Thema Natur und Umweltschutz aber doch. In einer Welt, in der es eine massive Ungleichverteilung gibt, von Chancen über Kapital bis hin zu Zugang zu Bildung, Internet und so vielem mehr, wäre wohl die Thematisierung des allgemeinen Umgangs mit Ressourcen und deren Verteilung eine mögliche Chance für grüne Parteien.

Dazu kommt: Den Grünen ist jegliche Radikalität abhanden gekommen. Kuschelweich, wie ein feuchtes Toilettenpapier. Da kratzt gar nix mehr, ganz in Linie mit den Wahlkampagnen. Fesch, toll fotografiert, aber halt Waschmittelwerbung. Die Grünen müssen radikal im besten Sinne sein: Wer sonst außer den Grünen sollte aktiv für ein Verbot von Diesel-Autos eintreten? Wer sonst sollte die Freigabe von Cannabis fordern? Wer sonst sollte radikal für Vermögenssteuern eintreten und z.b. für ein bedingungsloses Grundeinkommen? Die Grünen haben sich jahrelang wie eine Partei verhalten, die 20% der Bevölkerung vertritt. Dementsprechend beliebig wurde man. Konterkariert nur dadurch, dass man diverse Partikularinteressen über die Maßen zugelassen hat. Autofahren und so.

Jetzt steht man einmal vor einem Scherbenhaufen. Die Bundespartei ist tot, muss ihre MitarbeiterInnen wohl größtenteils kündigen und wird auf einem millionenschweren Schuldenberg sitzen bleiben. Die Grünen investieren mehr als andere Parteien in Personalkosten, das ist bekannt. Jetzt wird der Ruf nach einem/r Christian Lindner laut, der/die Grünen wieder ins Parlament führen soll.  Kein einfaches, aber ein mögliches Unterfangen.

Die Dreierspitze ist ohnehin tot. Ein „Weiter so!“ wäre das Schlimmste. Auch das Herumjammern und suchen nach Ausreden ist menschlich verständlich, aber es wird nichts bringen.

Es muss aber zu denken geben, dass Pilz es nur mit einem reinen Medienwahlkampf geschafft hat. Ohne Struktur, ohne ORF-Teilnahme an Elefantenrunde und Duellen, ohne Hausbesuche in großem Stil, ohne Plakate. Er hat quasi im Alleingang besser abgeschnitten als die gesamten Grünen. Bemerkenswert.

Jetzt kommen Landtagswahlen auf die Grünen zu. Wenn Pilz nun in den Ländern antritt, dann wird es die Grünen im Niederösterreichischen Landtag wohl ziemlich sicher nicht mehr geben und die Regierungsbeteiligungen in Kärnten und Salzburg werden wohl auch Geschichte sein. Das werden harte Zeiten, schließlich hat noch nie eine Partei nach ihrem Rauswurf aus dem Parlament den Wiedereinzug geschafft. Das Potential ist da, es ist nichts verloren. Aber wenn man glaubt, dass es eine Verirrung der WählerInnenschaft gewesen sei, dann wird man scheitern. Und zwar völlig zurecht.

Bis auf weiteres gilt: Mund abputzen, Spitze austauschen. Statuten überarbeiten, weg mit der Basis-„Ich hab mehr Freunde als Du!“-Demokratie.

Kogler, übernehmen Sie!